Besuch bei Europas letztem (kommerziellen) Schriftgießer

Vor ein paar Tagen haben wir einen Ausflug nach Darmstadt gemacht, ins Hessische Landesmuseum – besser gesagt in dessen »Abteilung Schriftguss, Satz und Druckverfahren« in der Kirschenallee.

Hier arbeitet Rainer Gerstenberg, der letzte Schriftgießer Europas. Frankfurt und Offenbach waren früher Zentren des Schriftgusses: hier wurden Lettern aus einer Bleilegierung entworfen und hergestellt und an die Druckereien verkauft. Die Gießereien Klingspor, Stempel, Bauersche, Flinsch, Ludwig & Mayer und weitere waren allein in diesen beiden Städten beheimatet!
Mit der technischen Entwicklung zu Fotosatz und dann digitalem Satz wurde die Entwicklung Johannes Gutenbergs verdrängt und ist größtenteils noch in Museen, Universitäten oder künstlerischen Druckwerkstätten vorhanden.

Wir bekamen nicht nur ausführlich erklärt, wie Schrift gegossen wird und konnten die Maschinen in Aktion sehen, sondern durften uns auch im Maternlager umschauen (Matern sind die Negativformen, in die das Blei gegossen wird). Hier lagern wahre Schätze der deutschen und europäischen Kulturgeschichte!

Rainer Gerstenberg ist ein guter, humorvoller Lehrer und fachkundig dazu – kein Wunder, mit 71 Jahren hat er 55 Jahre Berufserfahrung. Da sitzt jeder noch so kleine Handgriff, zum Beispiel wenn er mit einem 28er Maulschlüssel die Gießform mal eben um 1/100 mm (!) verstellt, damit er die Letter korrekt gießen kann.

In einigen Museen wird für den eigenen Bedarf oder in kleiner Auflage zum Verkauf noch gegossen (meistens dekorative Elemente), aber in der Darmstädter Schriftgießerei werden Auftragsarbeiten angefertigt. Vieles geht in die USA zu kleinen Druckereien, was nicht nur angesichts des Versandgewichtes eine richtige Investition ist.

Ein Besuch in Darmstadt lohnt sich für alle an Schrift und Schriftgeschichte Interessierten!

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